The Experience
Fusion 2010, kurz vor zwei. Hannes und ich sitzen völlig breit vorm Zelt.
Wir meckern wegen dieses Prolls, der uns für 15 Euro ein Zuckerstückchen verkauft hat, welches, außer mickrigen Lachflashs, keine wirkliche Wirkung zeigte. Da kommt um das nächste Zelt irgendein Hippie und fragt, ob wir ihm ein Blättchen geben können. „Sure come on“, während er seine Zigarette dreht, erfahren wir, dass er aus Schweden kommt und irgendwie durch die Wälder ins Festival eingebrochen ist. Er mustert uns, dann fragt er „You want LSD, ten euro per trip.“ Ich erzähle ihm, dass wir gerade ziemlich verarscht wurden, aber was soll er da machen. Ich vertraue diesem Hippie, der sich „Tree“ nennt und kaufe zwei Trips, um auch endlich mal diese Hippiedroge zu spüren. Wir heißen übrigens für diesen Moment Rain und River.
„You got someting where you can hold it? Like a weed bag?“ Wir haben keine mehr und geben ihm stattdessen die Packung mit den Filtern. Er witzelt noch rum und tut so, als würde man die Pappen nicht mehr wiederfinden können unter den ganzen Filtern. Danach verabschiedet er sich, wünscht uns Spaß und verzieht sich. „Looking for other jukies?“ lache ich. „Let's see“
Wir nehmen uns vor die Trips erst am Abend zu schmeißen. Kurz darauf taucht ein Junge auf und will uns einen Fünfer verkaufen, da wir unser Gras schon auf haben, kaufen wir auch diesen (es war weitaus mehr als ein Fünfer) und machen uns auf den Weg zu irgedeinem Platz um das Gras zu genießen. Ich verliere das Gras und schiebe derbe die Frustration. Wir besuchen eine Freundin und rauchen ihr Gras, was uns einfach mal voll den Flash gibt. Nachdem wir einen Canabisschnaps getrunken haben, haben wir alle Sorgen schon wieder vergessen und machen uns auf den Weg zurück zum Zelt, um uns für den Abend wärmere Sachen anzuziehen.
Wir kommen an diesem megageilen riesigen Strand vorbei und rauchen eine Zigarette zum Beat. Die Wolken verdichten sich, aber ich fühle mich wahnsinnig gut. Ich renne in die Mitte des Strandes unter den Turm. Hannes folgt mir widerwillig. Wir tanzen extrem und gehen barfuß auf diesem Techno ab wie zwei Irre. „Wollen wir die Trips jetzt schon nehmen?“ fragt Hannes. Ich willige lachend ein und wir legen uns je eine kleine bunte Pappe auf die Zunge.
Es beginnt zu regnen. Ohne dass wir es merken, kommen alle Tanzenden zu uns zu unter den Turm. Der Moment ist wie perfekt. Hannes ist schon wieder etwas angepisst, da es anscheinend nicht wirkt, als ich mein Kinn berühre und es sich völlig anders anfühlt. Weicher und angenehmer. Ich betaste es ganz vorsichtig, dann meine Wangen, den Rest meines Gesichtes, meinen Bauch und meinen ganzen Körper. Ich bemerke kaum wie Hannes sich einen ablacht und bin völlig in mich gekehrt. Hin und wieder geht ein Mädchen an mir vorbei und ich versuche eine möglichst unauffällige Berührung herbeizuführen. Ich will sie eigentlich umarmen. Alle die hier sind. Hannes geht ein Bier holen und ich tanze wieder extrem. Schon als wir da ankamen, lagen dort einige Scherben, aber es werden wohl immer mehr. Ich schiebe sie immer wieder alle an den Mast. Da kommt Hannes wieder und gibt mir mein Bier. Ich trinke und es schmeckt unglaublich gut, ich spüre jeden Schluck durch meinen Körper fließen, wie eine warme Dusche im Inneren. Ich stelle das Bier ab und betrachte längere Zeit einen Stein, den ich aufgehoben habe. Dann lege ich ihn ganz vorsichtig zu den Scherben und tanze wie ich noch nie getanzt habe mit dem ganzen Körper. Auf einmal lacht Hannes wieder und hebt mein ausgelaufenes Bier auf. Er bringt die Flaschen zurück und es geht richtig los. Die Musik kommt so intensiv und die Menschen scheinen nur noch über mich zu reden. Farben beginnen zu leuchten, zu blinken und sich zu ändern. Formen verschwimmen. Hannes kommt wieder und will weiter. Zusammen trippen wir von Dancefloor zu Dancefloor, Konzert zu Konzert. Es ist der Wahnsinn. Plötzlich kommt ein Mann mit blau weiß gestreiftem Shirt auf mich zu. Sein Shirt wirkt wie ein leuchtendes, nicht mehr zu seinem Körper gehörendes Objekt, was aus den bekannten Dimensionen hinausgeht. Ich drehe mich benommen nach ihm um „Alter“ lalle ich Hannes zu „siehst du auch das, was ich sehe?“ „Ich weiß gar nicht wie du noch darüber reden kannst.“ erwiedert er wie in Trance.
Ist das die Wirklichkeit? Ist das wirklich so krass? Sieht das hier alles so aus? Auf einmal habe ich drei Realitäten in meinem Kopf und kann beliebig hin und herspringen. Jeder Schritt ist ein Schritt in eine andere Ebene. Auf farbig leuchtende immer neu entstehende Felder treten mit neuen Eigenschaften und Wahrnemungen.
Hannes und ich taumeln zum nächsten Floor und tanzen wie Wahnsinnige. Es ist schon schlimm genug, dass sich viele mit märchenhaften Verkleidungen schmücken, aber auf einmal wimmelt es von Gnomen und Kobolden. Manche sprechen zu mir „Du siehst krass fertig aus“, „Na Süßer“, „Komm trink mal was“, andere gucken mich nur ganz ernst an. Meine Mutter ruft an. Sie hat auch mal LSD genommen, das weiß ich und erzähle es ohne Scham. Sie ist ein bisschen schokiert und sagt dann aber „okok, immer schöne Gedanken... alles schön lalala. Und viel Wasser trinken, ganz viel.“ Sie lacht etwas als sie hört, wie ich im Wahn zu Hannes rufe „Wir brauchen Wasser! Wasser! Kein Bier, Wasser!“ Artikulation übersteigt meine Fähigkeiten. Immer panischer suchen Hannes und ich nach dem Nass und fragen irgendwelche Elfen auf dem Weg. Niemand kann uns helfen. Wir vergessen, lassen uns wieder von der Musik mitreißen und tanzen, bis ich mich besinne und aufs neue „Wir brauchen Wasser!“ brülle. Auf einmal meint Hannes „Ey der Typ auf der Bank hat ne Flasche, frag ihn doch, ob er dir was gibt.“ Ob das ein Mann ist, weiß ich nicht. Für mich sehen sie aus wie zwei Feen und sie geben mir die Flasche nur zu gerne. Die männliche Fee hängt sie mir sogar mit einem Bändchen um den Hals. „Damit du sie nicht verlierst.“ sagt er und der Satz echot noch ewig in meinen Ohren.
Wir stolpern weiter durch die Gegend und trinken abwechselnd literweise Wasser. Immer weiter füllen wir die Flasche nach.
„Wir sind doch nicht die einzigen die hier trippen, oder“ fragt Hannes auf einmal und blickt suchend durch die Gegend. „Alle...“ fange ich an, kriege aber keinen Satz mehr hin.
Wir legen uns auf eine Wiese, genießen die kurze Pause und lauschen dem Wahnsinn. Musik kommt farbig von allen Seiten in unsere Ohren und auf unsere ganzen Körper. „Das sieht ja friedlich und schön aus wie ihr hier liegt.“ sagt eine Frau und ohne die Augen zu öffnen murmele ich „Leg dich doch dazu.“ Hannes lacht, aber ihre Antwort höre ich nicht mehr. Irgendwas mit Hasen und hoppeln.
„Das ist echt viel zu krass“ lache ich und das ist der Moment, in dem Hannes Panik bekommt und krampfhaft versucht klarzukommen. Wir gehen zum Zelt und setzen uns erst davor. Ein Schwarzer sitzt so zehn Meter entfernt und trommelt auf einer Conga. Die Schläge kommen wie in Wellen und auf einmal wird er immer größer und lauter. Ein riesiges blondes Mädchen kommt von hinten auf den Trommler zu, legt ihm die Arme um den Hals und verschmilzt mit ihm, wie siamesische Zwillinge. Um sie herum wird alles undeutlich und die Musik leise. Ich nehme nur noch das Trommeln wahr und die zwei Riesen, wie sie da zusammen hocken, verschmilzen und sich die Farben ihrer Klamotten zu einer ganzen, völlig neuen und unbeschreiblichen Farbe zusammenfügen.
Mir wird kalt und ich steige ins Zelt. Als ich drin bin geht es richtig ab. Die Wände werden größer und zu dem wieder hörbarem Beat bewegen sich Bilder. Die Wände wechseln die Farben und Muster und Figuren entstehen auf der mittlerweile riesigen Zelthalle. Meine Mutter ruft wieder an und sagt, „Das dauert noch ein paar Stunden. Versucht den Trip wenigstes zu genießen.“ So stürmen Hannes und ich berauscht wieder los. Diesmal habe ich gar keine Schuhe mehr an, weil ich den einen wohl vorher verloren habe. Als würde ich schweben, laufe ich trotz der mittlerweile großen Gefahr in eine Scherbe zu treten unachtsam über den Boden. Wir tanzen wieder und trinken unmengen Wasser. Die relativ regelmäßigen Pinkelpausen sind krass unangenehm.
Plötzlich wird ein Remix von Good Vibrations gespielt und ich gehe völlig auf. Ich unterhalte mich zum zehnten Mal an diesem Abend mit einer Frau. Ganz normaler Smalltalk. Zwischendurch unterhalte ich mich immer mit irgentwelchen Frauen, kann jedoch nie sagen, ob sie alt, jung, hässlich oder hübsch sind. Irgendwie sehen alle verdammt gut aus. Hannes zieht mich weiter und ein letztes Mal gehe ich zu der Frau und sage „Es war schön dich kennenzulernen.“ Sie wirkt verwirrt und nickt nur. Alles kommt mir so unwirklich vor.
Scheißkalt. Eigentlich wollte ich mir ja eine richtige Jeans anziehen, aber unser Zelt ist regendurchlässig und so ist alles nass geworden und ich bin weiterhin in Badehose, T-Shirt und Hoody unterwegs. Wir elen zur Dubstation, wo wir uns ans Feuer setzen können. Hannes geht voraus, da ich überhaupt keinen Plan mehr habe. Wir stellen uns ans Feuer, weil kein Platz mehr frei ist und während wir warten spricht mich wieder so ein Kobold an. Er sitzt ganz einsam auf der Wiese, wendet sich zu mir, prostetet mir zu und sagt grinsend „Ein wahnsinns Abend!“ Ich drehe mich wieder weg. Fassungslos von diesem ganzen Irrsinn setze mich an einen frei gewordenen Platz am Feuer. Intensivität kennt keine Grenzen.
Hinter mir scheinen zwei alte Hippies irgendeine Art von bekleidetem Kamasutra zu verüben und rechts neben mir sitzt ein tolles Mädchen mit dunklen Dreadlocks. Ich bin mir nicht sicher, ob sie gut aussieht und betrachte sie eingehend. „Entschuldgung“ spricht sie mich an „Wofür“ „Habe ich dir nicht gerade...“ „Nein.“ sie lächelt ein bisschen verlegen, als ich sie weiterhin so ungeniert anstarre. Selbst mir ist es unangenehm, aber was soll man machen? Auf einmal bin ich mir sicher, sie sieht verdammt gut aus. „Wie heißt du?“ „Ariane.“ Ich wiederhole den Namen und gucke zufrieden ins Feuer. Nach einer Weile frage ich „Bist du alleine hier?“ „Nein meine Freunde sind irgendwo dahinten.“ Mein Kopf ist so gefüllt mit Sex, oder auch nur Zärtlichkeit. Berührunen und vor allem Frohlocken. Ich kann kaum noch an was anderes denken, so dass ich sehr lange überlegen muss, bis ich die nächste Frage stelle. „Wo kommst du her?“ Ich bekomme es nicht mit, erzähle ihr aber auf ihre Frage, dass ich aus Berlin komme. „Ich zieh auch bald nach Berlin. Was machst du denn da?“ Tja was mache ich... gute Frage... „Ich studiere.“ „Verständlich. Und was?“ Ich erzähle oft irgendwelchen Leuten, die ich in Clubs oder so treffe, Scheiße und bin dann mal Philosphiestudent oder habe letztes Jahr meine Promovierung in Germanistik abgeschlossen, aber auf LSD ist lügen verdammt schwer. Ich stottere und suche nach etwas, was ich ganz fest in meinem Kopf habe. „Kreatives Schreiben.“ sie lächelt „Warum musstest du so lange überlegen?“ Ich kann nicht mehr, das muss aufhören. Ich hebe meinen Finger und öffne mehrmals meinen Mund, bis ich ein flüchtiges „Wie alt bist du?“ rausbringe. „19 und du?“ so hätte ich sie auch eingeschätzt. Das mag ich. Meine besten Erfahrungen hatte ich mit 19jährigen Mädchen. Ich verfalle ins Träumen, sage längere Zeit nichts. „Gehst du noch zur Schule?“ Ich nicke unsicher und muss immer öfter zu den stöhnenden Hippies rübergucken, die die krankesten Verrenkungen machen. Es sieht aus wie eine Art sexuellem Erlösungsritual, denke ich mir. „Das ist doch nicht schlimm.“ Wir reden noch ein bisschen über unwichtiges Zeug, dann sagt sie, ihr werde langsam zu heiß und sie setzt sich ein paar Reihen zurück. Ob sie wohl will, dass ich mich zu ihr setze? Während ich das überlege und sie psychomäßg mit aufgerissenen Augen anstarre und sie gezwungen lächelt, setzt sich ein Kobold neben sie und sie beginnt ein neues Gespräch. Schade... was solls, genieß ich halt noch meinen Trip ein bisschen. Das Feuer wird aber echt immer heißer und mich trifft die Glut immer regelmäßiger am Bein. So verabschiede ich mich von Ariane und sie wünscht mir noch „viel Spaß“. Hannes hat die ganze Zeit mit einem krass benebelten Typen über Wasser geredet. „Alter lass mal weitergehen“ sage ich und wir gehen zum Trancefloor, um noch mal richtig abzugehen. Für Zeit haben wir seit Beginn unseres Trips jegliches Gefühl verloren. „Mir ist arschkalt, ich muss in den Schlafsack...“ sage ich „... der nass ist.“ fügt Hannes grinsend dazu. Wir setzen uns auf dem Weg einfach nochmal auf den Boden und errörterten die verschiedenen Abspanne des Trips, der noch immer anhält, und in wie weit uns das verändern würde. Wir sind uns einig: Es ist einfach mal die krasseste Erfahrung ever. Eine spirituelle Reise zu aller Einsicht durch alle Welten.
Danach ist Hannes noch mal pinkeln und ich fülle die Flasche auf. Ängstlich steh ich auf der Stufe der Wasserarea. Ich brauche ungefähr eine Minute, um mich zu überwinden die 20 Zentimeter hohe Stufe hinabzusteigen. Gemeinsam schwanken wir zum Zelt und lassen den Trip im liegen auslaufen. Ein bisschen reden wir noch oder betrachten unsere Hände. Diese Sicherheit, die ich spüre ist unglaublich. Hier in meinen nassen Schlafsack gekuschelt, den Wahnsinn im Kopf und die Schönheit um mich rum trippe ich ganz langsam in den Schlaf.
tonyc am 15. Juni 11
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