Cold Mirror
Gestern ist ein Junge im Lietzensee ertrunken. Unwesentlich jünger als ich. Drei vier Jahre vielleicht.
Da ich relaxen will nach dem Suicide Circus auch irgendwie nichts großes ansteht, beschließe ich zu Hause im Westen bei meiner Mutter zu übernachten. So elf Stunden Schlaf tun doch alle paar Wochen mal ganz gut. Ich treff mich mit zwei Mädchen aus meinem alten, halb vergessenen Leben aus Charlottenburg, gehe relativ früh schlafen und stehe relativ spät auf. Ganz entspannt frühstücken (seit Tagen endlich mal wieder), dann am Computer und vorm Fernseher chillen. Beim Essen habe ich zwei Jugendliche im See baden sehen. Auf einmal kommt meine Mutter ins Wohnzimmer und sagt: „Ein Junge ist ertrunken.“ Erschrocken gehe ich auf den Balkon und sehe das Mädchen weinend am Ufer stehen. Feuerwehr, Taucher, Bote sind alle schon zu Gange. Ein paar Sensationsgeile Gaffer auch. Die Minuten verstreichen genauso wie dieses Leben. Es vergeht bestimmt eine viertel Stunde, bis ein Taucher den dunkelhäutigen großen Körper eines Jugendlichen an Land zieht. Sofort beginnen die Wiederbelebungsmaßnahmen. „Selbst wenn er überlebt, wird er nie wieder aufstehen können.“ sagt meine Mutter trocken und mir wird klar, dass das alles für sie noch viel härter sein muss, als für mich.
Nachdem mich 2001 ein Auto angefahren hat und ich zehn Meter durch die Luft mit dem Kopf auf einen Bordstein flog, lag ich genauso da. Tod und doch noch lebendig. Drei Wochen Koma. Alles neu lernen. Sitzen, sprechen, schlucken. Ein halbes Jahr Rehabilitationsklinik. Tausende Prognosen, wie „mehr als Behindertenschule ist da wohl nicht drin.“. Ich überlebte den ersten Abend, der allesentscheidend war und eine durch jahrelange Therapie gewonnene Besserung nahm ihren Lauf.
Jetzt steh ich hier. Scheiß Zittern in der rechten Hand. Leichter Tremor und Attaxie. Ich werde nie wieder Gitarre oder Klavier spielen können. Meine Schlagzeugkünste sind mehr als begrenzt. Ich muss nette Mädchen bitten, mir mein Steak zu schneiden.
Aber hey, ich hab überlebt. Ich habe gegen alle Prognosen ein richtig geiles Leben. Ich hatte Glück. Der Junge, der wahrscheinlich von diesem Steg einen Köpper in das viel zu niedrige Wasser gemacht hat, weniger.
Ganz langsam verschwindet der Krankenwagen in der nächsten Biegung. Ohne Blaulicht. Die Entscheidung ist wahrscheinlich schon getroffen worden.
Das Leben ist manchmal echt hart.
es sind genau diese momente und situationen, die einem selbst bewusst machen, wie kostbar unsere existenz eigentlich ist.
und dass wir etwas damit machen sollten, das uns glücklich macht.
ich bin vielleicht ein bekackter hippi, aber he - ich hab vermutlich mehr spaß als wär ich ein bekackter hippihasser!
du hattest glück und das ist toll, das zeigt, dass einem das spiel hier nicht immer unfair behandelt. manchmal scheinen die spielregeln zu funktionieren!
ich wünsch dir was, mindestens noch ne extraladung glück und freude dran.